Frisch aus der FAZ – eine PR-Kampagne für die Harmlosigkeit der Frankfurter NPD

Der folgende Beitrag zur jüngsten Verharmlosung der NPD in einem Artikel der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ wurde inzwischen in leicht gekürzter Fassung am 14. Februar 2007 in der Tageszeitung „junge Welt“ veröffentlicht

Hans Riebsamen, Journalist der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, ist befremdet: es hat hat sich etwas geändert in Frankfurt.

Frankfurt und die demokratischen Parteien haben in der Vergangenheit ihren eigenen erfolgreichen Weg in der Auseinandersetzung mit Rechtsextremisten beschritten – sie ließen diese einfach rechts liegen. Auf Anträge von NPD und Republikanern, deren beide Vertreter im Stadtparlament fast schon eine Front bilden, haben die Stadtverordneten nicht reagiert„, heißt es in einem Artikel der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ vom 11. Februar (voller Text siehe unten).

Diese Politik, deren Inhalt im Mai 2003 aus dem Römer griffig als Politik des „Wegtolerierens“ bezeichnet wurde, wurde in der Tat lange Zeit durch das fast völlige Totschweigen von NPD- und „Kameradschafts“-Aktivitäten in der Frankfurter Lokalpresse flankiert.

Das hat sich in ersten Ansätzen geändert. Es gibt inzwischen nach unserem Eindruck in Teilen der Lokalpresse eine etwas offensivere Berichterstattung zum Thema NPD. In der Stadtverordnetenversammlung wurden verschiedene Anträge zum Umgang mit einer für den 7. Juli angekündigten bundesweiten Nazidemonstration offen kontrovers diskutiert. Wir begrüßen das sehr.

Denn in Frankfurt und in ganz Hessen ist der Weg, über lokale und regionale Naziaktivitäten nicht zu reden, die sogenannte „Hessische Linie„, gescheitert.

Sie hat Nazis wie Wöll und Krebs ideale Bedingungen geliefert.

Ihr Ziel scheint uns nicht etwa das auf diese Weise sowieso nicht erreichbare politische Kleinhalten von Rassisten, Antisemiten und Faschisten, sondern viel eher die ängstliche Sorge um das eigene liberale Image und die Illusion zu sein, Neofaschisten würden sich in Luft auflösen, wenn man sich und der Öffentlichkeit die Augen lange genug zuhält.

Diese Angst ist der ideale Nährboden für Leute wie Wöll und Krebs, gewalttätige Propagandisten des „Nationalen Sozialismus„, die sich selber unverblümt in die historische Kontinuität der NSDAP, ihrer Ideologie und Praxis stellen. Die Existenz ihrer und aller (neo-) faschistischen Organisationen halten wir für verfassungswidrig und für einen Bruch der völkerrechtlichen Verpflichtungen zur Zerschlagung von Faschismus und Militarismus, wie sie aus dem Potsdamer Abkommen von 1945 resultieren, zu deren Verwirklichung sich die Bundesregierung in Befolgung von Art. 139 GG im Jahre 1973 vor der UNO als weiterhin wirksam und in Kraft befindlich bekannt hat. (Weitere Informationen zu Artikel 139 GG in einem Aufsatz von Lars Winkler sowie einem Artikel von Otto Köhler – beide Quellen heben die Bedeutung von Theodor Maunz und Ex-Bundespräsident Roman Herzog für die faktische Beseitigung des Artikels 139 hervor).

Herr Riebsamen findet aber, man solle in Hessen und Frankfurt diesbezüglich alles beim alten lassen. Er bedauert anscheinend die leisen Anzeichen von Änderung in Berichterstattungspraxis und Lokalpolitik: „Die Parteien verlangen ein Demonstrationsverbot, obwohl sie wissen müssten, dass sie damit scheitern werden“ beklagt er sich – und argumentiert selbst noch in der Berufung auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit exakt wie Jörg Krebs, der das Schicksal der Demonstration bereits vertrauensvoll in die Hände des Bundesverfassungsgerichts gelegt hat, das nach seiner Auffassung eine Verbotsverfügung der Stadt Frankfurt „zu Konfetti verarbeiten“ werde (Presse-Erklärung der Frankfurter NPD vom 12. Januar).

Riebsamens Artikel zeigt beispielhaft, zu welch drastischen Erinnerungslücken und Erkenntnisgrenzen die ideologische Fixierung auf die Politik des „Wegtolerierens“ führt: „die Demonstrationsrouten [der Nazis ] führten durch eher öde Vororte. Dort marschierten dann am Ende nur einige Dutzend frustrierte Extremisten“ – so falsch erinnert er sich und seine LeserInnen an die gescheiterten Frankfurter Nazi-Aufmärsche der Jahre 2001 – 2004. Dieses schlechte Gedächtnis, das Hans Riebsamen den Fakten zum Trotz vielleicht wirklich hat und das er seinen LeserInnen anscheinend unterstellt oder einreden möchte, ist nur die Kehrseite seiner Bemerkung, politisch andersdenkende Parlamentarier Frankfurts handelten „in völliger Unkenntnis der Frankfurter Verhältnisse„.

Wir kennen die Frankfurter Verhältnisse, waren dabei, erinnern uns deshalb genauer und empfehlen Herrn Riebsamen ein Gang ins FAZ-Archiv:

am 1. Mai 2001 blockierten Tausende AntifaschistInnen einen mehrere Hundert Personen starken Aufmarsch von aus der gesamten Bundesrepublik angereisten und mit Sonderzügen der S-Bahn auf Kosten der Stadt herantransportierten Nazis erfolgreich an der Bertramswiese, so daß sich ihre Demonstration als undurchführbar erwies.
Am 1. Mai 2002 geschah dasselbe im Frankfurter Stadtteil Fechenheim – am 4. Mai allerdings setzte die Polizei mit einem Prügeleinsatz eine Demonstration von 50 Nazis unter Christian Worch durch, mitten im Ostend.
Am 1. Mai 2003 kamen nur noch wenige versprengte Nazi überhaupt zur angemeldeten Demonstration nach Fechenheim – und Hunderte AntifaschistInnen demonstrierten auf der von den Nazis angemeldeten Route gegen Faschismus und Rassismus.
Und im Mai 2004 meldete Herr Krebs eine von ihm für den Bereich Neue Börse angemeldete Demonstration mutig selber wieder ab: die Polizei hatte ihm, wie verlautet, zum Schutz seiner „Kameraden“ nur eine einzige Hundertschaft Bereitschaftspolizei anbieten können. Das war ihm zu riskant und er zog sich lieber zurück.

Die Polizei sollte für 2007 vielleicht ein ähnliches Konzept erwägen. Das kommt billiger und ist offenbar sehr wirksam.

Zu diesem Erfolg der demokratischen Öffentlichkeit, der natürlich in allen Fällen von der FAZ äußerst kritisch bewertet wurde, hat eben nicht das „Wegtolerieren“, sondern die aktive Präsenz tausender Menschen vor Ort, an den Blockadepunkten auf der Nazi-Demonstrationsroute, geführt, Menschen, die auf die FAZ und das Rezept der „Hessischen Linie“ zu Recht nicht hören. Es ist das Verdienst dieser Menschen, daß es nach einer Serie von Nazi-Niederlagen mit von Jahr zu Jahr abnehmender Beteiligung keine nennenswerten öffentlichen Auftritte von Nazis in Frankfurt gegeben hat.

Mit dem Wechsel im Parteivorsitz der hessischen NPD im Frühjahr 2006 sollen sich diese Verhältnisse nun ändern. Mit Marcel Wöll (Butzbach), bekennender „Nationaler Sozialist“ und Antisemit, ist ein ausgewiesener Repräsentant des gewalttätigen Kameradschaftsflügels Anführer der Neonazis in Hessen geworden. Die wichtigen Funktionen seines Landesverbands und der NPD-Jugendorganisation JN sind mit seinen Parteigängern besetzt. Alt-NPD-Funktionärinnen wie Doris Zutt stehen auf seiner Seite. Der Frankfurter NPD-Stadtverordnete Jörg Krebs ist sein Pressesprecher.

Die feinsinnige Unterscheidung von „rechtsextremistischer NPD“ und „noch extremistischeren Kameradschaften„, die Hans Riebsamen in seinem Artikel pflegt, war schon immer falsch, ist aber nun vor aller Augen von vorgestern.

Es sind diese Leute, die es am 7. Juli 2007 erneut in Frankfurt versuchen wollen – mit einer schon vor Wochen angelaufenen bundesweiten Mobilisierung im Bereich der NPD, der JN und der Kameradschaften.

In den Mittelpunkt ihrer Agitation stellen sie den offen nazifaschistischen Begriff der „Volksgemeinschaft“ – einen Begriff, der seit der Zeit des Nazireiches synonym steht für den staatlich geforderten, völlig legal und mit deutscher Gründlichkeit und Organisation durchgeführten Ausschluß der Anderen, der Fremden, der angeblich „Minderwertigen“ und „Lebensunwerten“ – für politischen, rassistischen, antisemitischen und „eugenischen“ Massenmord. Dieser Begriff ist der ideologische Hintergrund der Nürnberger Rassegesetze und der Shoah, des „Kommissarbefehls“ und des „Vernichtungskrieges gegen den Bolschewismus“, der verbrecherischen Unmenschlichkeit der Wehrmachtskriegsführung, der planmäßigen Ermordung von Roma, Sinti, Homosexuellen, GewerkschafterInnen und Linken unterschiedlicher Organisationen, BibelforscherInnen und bekennenden ChristInnen.

Es ist kennzeichnend für die aktuelle gesellschaftliche Situation, daß sich heute und hier Menschen ungestraft auf diesen Begriff berufen und sich dabei offen als „nationale Sozialisten“ bezeichnen können. Und es kennzeichnet die Selbstpositionierung einer Zeitung wie der FAZ, daß sie denjenigen Stadtverordneten aller Fraktionen, die das dankenswerterweise nicht mehr hinnehmen wollen, mahnend in den Arm fällt. Wem nutzt das?

Es ist keineswegs der Jux eines Gestörten, wie Herr Riebsamen meint, wenn Jörg Krebs sich in einem Werwolf – T-Shirt fotografieren läßt. Die Botschaft dieses Fotos ist: Krebs und seine Gesinnungskameraden berufen sich zustimmend auf die Tradition der fanatisierten bewaffneten Untergrundfortsetzer des NS-Terrors über das Ende des „Dritten Reiches“ hinaus.

Daß Wöll und Krebs aufgrund ihrer persönlichen und organisatorischen Voraussetzungen heute dazu nicht wirklich in der Lage sind, heißt nicht, daß sie oder andere ihrer „Kameraden“ es nicht noch werden, wenn man sie, zB. auf Empfehlung der FAZ, lange genug „verachtet“ oder „wegtoleriert„.

Wer den Empfehlungen der FAZ und Herr Riebsamens folgt, hat aus dem Schicksal von seit 1989 über 150 durch deutsche Neonazis und Rassisten ermordeten Menschen nichts gelernt oder hält diese Tatsache anscheinend für bedeutungslos – jedenfalls offenbar nicht für eine Verpflichtung, wenigstens ernsthaft zu versuchen, eine Nazizusammenrottung in Frankfurt eben auch auf der juristischen Ebene zu bekämpfen und nicht „mit Verachtung zu strafen“ oder „wegzutolerieren“ – was nichts anderes heißt, als die notwendige politische und gesellschaftliche Auseinandersetzung auf der juristischen Ebene gleich zu Beginn einzustellen.

Was Herrn Riebsamen zu einem Artikel veranlaßt, der als eine Art PR-Kampagne für die Harmlosigkeit der NPD wirken muß, ist eine Frage, die er nur selber beantworten kann.

Die Anti-Nazi-Koordination als eine von mehreren antifaschistischen Strukturen in Frankfurt wird auch am 7. Juli 2007 einen Naziaufmarsch zu verhindern suchen.
Es muß nach unserer Meinung unser gemeinsames Ziel sein, an diesem Tag Frankfurt für Nazis zu no-go-zone zu machen. Dazu müssen Tausende von Menschen selber aktiv werden. Wir laden die antifaschistischen Stadtverordneten und die Frankfurter Presse dazu ein, uns dabei persönlich und aktiv zu unterstützen.

… und hier der Artikel von Hans Riebsamen
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 11. Februar

Rechtsextremismus – Fragwürdige Verbote statt wirksamer Verachtung
Von Hans Riebsamen

Ein Demonstrationsverbot wird wahrscheinlich scheitern
10. Februar 2007

Parteiübergreifend möchten CDU, SPD, Grüne und FDP eine NPD-Demonstration am 7. Juli in Frankfurt verhindern. Die rechtsextremistische Partei will an diesem Tag zusammen mit noch extremistischeren „freien Kameradschaften“ eigenen Angaben zufolge „antikapitalistische Forderungen des nationalen Widerstandes“ auf die Straße tragen. Die demokratischen Parteien im Römer haben vor kurzem in einem gemeinsamen Antrag den Magistrat beauftragt, alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel auszuschöpfen, um die geplante Kundgebung zu verhindern.

Offenbar glauben CDU, SPD und die anderen Parteien, die Behörden könnten wie im Sommer vergangenen Jahres die NPD-Demonstration untersagen. Doch das damalige Verbot war besonderen Umständen geschuldet, es wurde ausgesprochen im Zusammenhang mit der Fußball-Weltmeisterschaft. Die Polizei könne die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht gewährleisten, weil ihre Kräfte durch die Weltmeisterschaftsveranstaltungen gebunden seien, argumentierten damals die Sicherheitsbehörden mit Erfolg.

NPD-Kundgebung kann kaum untersagt werden

Diese Sondersituation ist freilich in diesem Jahr nicht gegeben, weshalb – dies lässt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit voraussagen – die Demonstration im Juli von den Gerichten erlaubt werden wird. „Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln“, sagt das Grundgesetz. Die Hürden für ein Demonstrationsverbot liegen äußerst hoch, wie diverse Urteile des Bundesverfassungsgerichts der vergangenen Jahre zeigen. Auch die Stadt Frankfurt hat die Erfahrung machen müssen, dass eine NPD-Kundgebung kaum untersagt werden kann. 2001 hat der Verwaltungsgerichtshof in Kassel ein von den Frankfurter Ordnungsbehörden ausgesprochenes Verbot einer Demonstration von Neonazis aufgehoben. Ein Jahr später scheiterte die Stadt mit einem Verbot am Bundesverfassungsgericht.

Frankfurt und die demokratischen Parteien haben in der Vergangenheit ihren eigenen erfolgreichen Weg in der Auseinandersetzung mit Rechtsextremisten beschritten – sie ließen diese einfach rechts liegen. Auf Anträge von NPD und Republikanern, deren beide Vertreter im Stadtparlament fast schon eine Front bilden, haben die Stadtverordneten nicht reagiert. Demonstrationen wurden nur mit Auflagen genehmigt: keine ausländerfeindlichen Transparente etwa oder keine uniformähnliche Kleidung. Und die Demonstrationsrouten führten durch eher öde Vororte. Dort marschierten dann am Ende nur einige Dutzend frustrierte Extremisten.

Kursänderung der Politiker

Jetzt scheint die Politik den Kurs zu ändern. Die Parteien verlangen ein Demonstrationsverbot, obwohl sie wissen müssten, dass sie damit scheitern werden. Im Parlament gebärden sie sich als kämpferische Nazigegner – obwohl die Ein-Prozent-Partei NPD mit ihrer Handvoll Mitglieder in Frankfurt praktisch nicht existent ist. Richtig, der NPD-Vertreter im Römer ist offenbar begeistert vom Dritten Reich, wie sein „Werwolf“T-Shirt beweist, in dem er fotografiert wurde. Doch er repräsentiert nicht einmal eine Minderheit, sondern nur ein paar politisch Gestörte, wie es sie in jedem europäischen Land gibt.

Dennoch hat in völliger Unkenntnis der Frankfurter Verhältnisse kürzlich eine Stadtverordnete der Linken das Schreckensbild einer Stadt gemalt, in der Nazis in Schnürstiefeln durch die Straßen marschieren und Ausländer jagen. Zu diesem absurden Horrorszenario trägt die „Anti-Nazi-Koordination“ des Pfarrers Hans Christoph Stoodt bei. Von ihr muss man zuweilen den Eindruck gewinnen, sie sei, ohne es zu wollen, eine PR-Agentur der Rechtsextremen.
Text: F.A.Z.

3 Kommentare zu „Frisch aus der FAZ – eine PR-Kampagne für die Harmlosigkeit der Frankfurter NPD“

  1. Vielen Dank für diesen Beitrag, ich hoffe, viele andere aufgeschlossene Menschen werden ihn ebenso aufmerksam lesen wie ich. Fragwürdig ist einzig der Herr der FAZ, der weder die Strategie und Strukturen der NPD begreift, noch die Gefahr von Rechts ernst nimmt. Ich bin froh, dass es noch wachsame DemokratInnen in unserem Land gibt! Der FAZ-Herr sollte sich zu einer anti-NPD-Demo begeben, dann weiss er, wie diese Typen ticken, doch dazu ist er sich wahrscheinlich zu fein, diese „Arbeit“ sollen vermutlich lieber andere machen.

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  2. Lieber Justus Heuberger – auf Herrn Riebsamen sollten wir lieber nicht warten. Besser ist es, möglichst viele Leuten aus dem eigenen Bekanntenkreis mit Infos zu versorgen – über diesen Artikel, über die Pläne der Nazis für den 7. Juli, über das nächste Treffen der Anti-Nazi-Koordination am 26. Februar. Also an die Arbeit – jede/r kann schon jetzt was tun! Solidarische Grüße, Hans Christoph Stoodt

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