Die an „polizeistaatliches Vorgehen“ (Wolfgang Neskovic, Bundesrichter a.D., MdB der Linken) erinnernden Attacken der Sicherheitsbehörden haben bis zur Stunde keinen einzigen handgreiflichen Beweis dafür erbracht, was als ihr Vorwand angeführt wurde: konkrete Gewaltvorbereitungen gegen den G8-Gipfel, schon gar nicht Hinweise auf eine „terroristische Vereinigung“.
Dagegen haben sie der Bundesanwaltschaft vielleicht wertvolle Hinweise auf Organisationsstrukturen und Reaktionsabläufe der Globalisierungsgegner-Innen geliefert. Es ist zu vermuten, daß das der Sinn der Übung war. Die zur nachträglichen Begründung dieser faktisch grundrechtswidrigen Angriffe angeführte Behauptung, es hätten ja möglicherweise terroristische Stratftaten vorbereitet sein können, kann allerdings jederzeit jeder gegen jeden erheben. Die Aktionen von Bundesanwaltschaft und Polizei fügen sich nahtlos in die seit Jahren laufende kontinuierliche Verschärfung des Sicherheitsregimes der Republik ein. Mal sollen wegen Osama bin Laden vollbesetzte Passagierflugzeuge abgeschossen werden dürfen, mal wegen der Fußball-WM die Bundeswehr im Inneren eingesetzt werden, mal möchte umgekehrt der Innenminister die Polizei im Ausland einsetzen. Schäubles aktuell-präventivstaatliche Drohungen mit „Unterbindungsgewahrsam“ gegen unbot-mäßige GlobalisierungskritikerInnen provozieren derzeit selbst FAZ-Leser zu der Frage: „Warum nennt man das nicht Schutzhaft?“ – gern erinnern wir in diesem Zusammenhang an §32 HSOG, von dem im Vorfeld von Anti-Nazi-Aktionen am 1. Mai 2002 die Rede war (vgl. die immer wieder beliebte Real-Satire „Der Gefährder„) Und nach den neuen Sicherheitsgesetzen sitzt inzwischen in jedem Landratsamt der Republik ein Verbindungsoffizier der Bundeswehr. Was tut er dort, wo doch unsere Sicherheit bekanntlich am Hindukusch verteidigt wird?
Doch zurück zur Sache: Einige Links zur kritischen Berichterstattung über die Razzien finden sich hier („Hausdurchsuchungen bei G8-GegnerInnen“).
Es folgt der Text einer Erklärung des Bundesausschuss Friedensratschlag von Mittwoch, 8. Mai:
Die überfallartigen Polizeiaktionen gegen 40 Wohnobjekte und Büros globalisierungskritischer Alternativprojekte sind ein ermittlungstechnischer Fehlschlag, juristisch überflüssig wie ein Kropf und ein politischer Skandal erster Ordnung.
Wenn der Bundesanwaltschaft etwas daran gelegen ist, wegen Verstoßes gegen Art. 129a (»Bildung einer terroristischen Vereinigung«) zu ermitteln, dann wurde die Probe auf das falsche Exempel gemacht. Bei den durchsuchten »Objekten« handelt es sich meist um alternative Projekte, Wohngemeinschaften und linke Büros, deren politische Aktivitäten den Staatsschutzorganen selbstverständlich bestens bekannt sind. Ebenso bekannt muß ihnen auch sein, daß es sich bei den heimgesuchten Adressen mitnichten um irgendwelche »terroristische Vereinigungen« handelt. Die Aktion, bei der bundesweit 900 Beamte eingesetzt wurden, ist also überflüssig wie ein Kropf und kostet Zeit und Geld, die für andere Polizeiaufgaben zum Schutze der Bürgerinnen und Bürger fehlen.
Politisch zielt die Aktion indessen auf die Kriminalisierung der Protestbewegung gegen den G-8-Gipfel. An den Protesten, die am 2. Juni in einer bundesweiten Großdemonstration in Rostock einen Höhepunkt haben werden, ist auch die Friedensbewegung beteiligt. Sie muß daher die polizeilichen Übergriffe auch als Angriff auf sich selbst empfinden.
Seit Wochen schicken das Innenministerium und die untergeordneten Staatsschutzorgane Signale aus, wonach bei den Protesten in und um Heiligendamm »Gewalttaten« zu erwarten seien. Einer solchen Stimmungsmache halten wir entgegen: Die Friedensbewegung, die in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten für zahlreiche Massendemonstrationen organisatorisch und politisch verantwortlich gewesen war, hat stets ihren friedlichen Verlauf garantiert. Dies sollte auch in Rostock selbstverständlich sein. Leider müssen wir heute feststellen, daß die Staatsorgane drauf und dran sind, die in der Sache harte, aber der Form nach friedliche Protestatmosphäre zu vergiften und ein Klima der Gewalt herbeizureden.
Der Bundesausschuß Friedensratschlag protestiert gegen die Willkürmaßnahmen der Polizei und fordert die politisch Verantwortlichen auf, zu rationalen Formen der Auseinandersetzung zurückzukehren. Der versuchten Kriminalisierung des Protestes setzen wir verstärkte Anstrengungen zur Mobilisierung zu den Gipfelprotesten entgegen.
Für den Bundesausschuß Friedensratschlag: Peter Strutynski (Sprecher)
s.a. „Kriminalisierung des Protestes und self fulfilling prophecies“
Zu den Polzeirazzien gegen G8-Gegner – Zwei Beiträge von ngo-online.de
