Ein offiziell akkreditierter Demonstrationsbeobachter der Stadt Frankfurt für die Demonstrationen der NPD am 7. Juli und am 20. Oktober 2007 in Frankfurt hat seinen Bericht und seine Einschätzung der Ereignisse vom 20.10. heute veröffentlicht. Auf der Homepage der Fraktion DIE LINKE im Römer heißt es dazu: „Udo Mack war am 20. Oktober Demo-Beobachter und seine Ausführungen strafen z.B. die Darstellung des Polizeisprechers Jürgen Linker Lügen: ‚Jeder Bürger hat die Möglichkeit gehabt, zur Kundgebung zu gehen‘ (siehe FR von heute).“ Wir dokumentieren seinen Bericht, der auch als PDF-Datei auf der Homepage der LINKEN verfügbar ist.
„Sie kommen hier nicht durch!“
Bericht und Einschätzung eines offiziellen Demo-Beobachters
Der folgende Bericht beruht auf meinen Erfahrungen als offiziell akkreditierter Demo-Beobachter der Stadt Frankfurt für die Demonstrationen der NPD am 7. Juli und am 20. Oktober 2007 in Frankfurt.
Die Herangehensweise der politischen Entscheidungsträger der Stadt Frankfurt an die beiden Demonstrationen könnte unterschiedlicher kaum sein: So wurde die Demonstration der NPD am 7. Juli genehmigt und mit Auflagen versehen, wohingegen die Demonstration des gleichen Anmelders am 20. Oktober verboten wurde. Dieses Verbot hatte keinen Bestand vor Gericht, und die Demonstration wurde ohne Auflagen gerichtlich erlaubt.
Angesichts dieser unterschiedlichen Herangehensweise muss das Ergebnis überraschen: Beide Demonstrationen liefen nahezu identisch ab, beide Demonstrationen hatten ein nahezu identisches polizeiliches Einsatzkonzept! Die Demonstration am 20. Oktober war eine Art Kopie des 7. Juli.
In beiden Fällen war der abgesperrte Westbahnhof der Ausgangspunkt, die Anreise erfolgte mit der S-Bahn. Durch hermetisch abgesperrte Stadtviertel führte die Demonstration über mehrere Stunden bis nach Hausen und zum Industriehof, zurück zum Westbahnhof und endete mit dem Abtransport der Demonstrationsteilnehmer mit der S-Bahn. Ein unglaubliches Großaufgebot der Polizei setzt in beiden Fällen das großräumige Trennen der unterschiedlichen Akteure, also der Demonstranten und der Gegendemonstranten, durch. Wenn der Verlauf der Demonstrationen des 7. Juli und des 20. Oktober aber nahezu identisch und völlig unabhängig von der politischen Grundsatzentscheidung der Stadt ist, so stellen sich Fragen an das Einsatzkonzept der Polizei.
Positiv gesehen könnte man sagen, die Frankfurter Polizei sichert mit allen, aber wirklich allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit auch für kleine und marginale Gruppen. Der Einsatz am 7. Juli mit 8000 eingesetzten BeamtInnen ist ja schon beinahe legendär, aber auch der 20. Oktober hat hier noch einmal Maßstäbe gesetzt: Dem Vernehmen nach waren 34 Hundertschaften aus dem ganzen Bundesgebiet eingesetzt, mehrere Hubschrauber waren den ganzen Tag in der Luft, Stadtteile wurden abgesperrt. Das Recht auf Demonstrationsfreiheit ist ein sehr wichtiges Grundrecht, und solange die NPD nicht verboten ist, kann sie dieses Recht in Anspruch nehmen.
Allerdings muss sich die Polizeiführung fragen lassen, ob sie mit der Durchsetzung dieses Rechtes nicht gleichzeitig die Grundrechte anderer verletzt hat: So galt das Recht auf Demonstrationsfreiheit nicht für Menschen, die an der Kundgebung des Römerbergbündnisses mit der Oberbürgermeisterin auf der Niddabrücke teilnehmen wollten. Wer bspw. von Bockenheim aus zu dieser Kundgebung gelangen wollte hatte keine Chance, denn sowohl die Breitenbachbrücke als auch der Westbahnhof waren polizeilich abgeriegelt. Es kann aber nicht angehen, dass das Grundrecht einer Gruppe mehr gilt als das Grundrecht einer anderen. Die Polizei setzt das Grundrecht der einen Gruppe – der NPD Demonstranten – mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln durch, inklusive dem Einsatz von Sonderzügen der S-Bahn, um die Anfahrt zum Demonstrationsort sicherzustellen.
Für diejenigen, die zu der ebenfalls angemeldeten Kundgebung des Römerbergbündnisses gelangen wollen, heißt es lapidar: „Sie kommen hier nicht durch.“
Die Frankfurter Polizeiführung muss die Frage beantworten, ob es für sie „Gute“ angemeldete Demonstrationen gibt – die der NPD – und „Schlechte“ – die des Römerbergbündnisses. Und ist nicht auch das Recht, seine Wohnung oder seinen Arbeitsplatz zu erreichen, ein Grundrecht?
Ich selbst habe es am 20. Oktober erlebt, dass Bürgerinnen und Bürger an den Polizeiabsperrungen nicht zu ihren Wohnungen oder Arbeitsplätzen gelassen wurden. Der für mich meistgehörte Satz am 20. Oktober war: „Sie kommen hier nicht durch!“ Für manche Menschen mag dieser Spruch ja sogar noch einen guten Klang haben. Aber am 20. Oktober bedeutete er einfach eine Einschränkung des Rechts auf Bewegungsfreiheit für Bürgerinnen und Bürger in Frankfurt. Im Industriehof traf ich Menschen, die seit Stunden versuchten nach Hausen zum Einkaufen zu gelangen – vergebens. Manche Polizisten sprachen in diesem Zusammenhang von einer „Sperrzone“.
Fazit: Die Polizeiführung in Frankfurt muss sich fragen lassen, ob sie auch weiterhin das Demonstrationsrecht von Verfassungsfeinden mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln verteidigen will, und dabei gleichzeitig die Grundrechte der BürgerInnen Frankfurts außer Kraft setzt.
Das Land Hessen wird sich fragen lassen müssen, ob es auch in Zukunft jeden Großeinsatz der Frankfurter Polizeiführung bezahlen möchte. Am 20. Oktober demonstrierten knapp 100 Anhänger der NPD unter dem Schutz von 34 Hundertschaften der Polizei.
Udo Mack, Stadtverordneter
- siehe ergänzend dazu auch die Presseerklärung der LINKEN, „Zivilgesellschaftliches Engagement gegen Rechts unerwünscht?“:
Zivilgesellschaftliches Engagement gegen Rechts unerwünscht?
„… Passanten, denen es trotz massiver Polizeiabsperrungen gelungen war, in die Nähe der NPD-Demo zu kommen und die dort Parolen wie „Nazis raus“ riefen, wurden mancherorts von der Polizei mit dem Argument abgedrängt, diese Parolen seien eine Störung des NPD-Aufmarsches.
Auch die Stadtverordnete Yildiz Köremezli-Erkiner zeigt sich empört, wie die Polizei gegen NPD-Gegner vorging. Sie war Zeugin, als Katinka Poensgen, Anmelderin der Anti-NPD-Kundgebung und Sprecherin der Anti-Nazi-Koalition, von Polizisten bedrängt, als „kleine Hexe“ bezeichnet“ und schließlich sogar geschlagen wurde. „Bis zu dem Zeitpunkt, als Frau Poensgen zunächst abgedrängt und dann körperlich attackiert wurde, war alles friedlich. Eine kleine Gruppe von NPD-Gegnern hatte sich auf der Bordsteinkante hingesetzt, als plötzlich ein Trupp von Polizisten ohne Begründung die Personalien dieser Gruppe aufnehmen wollte“, so Köremezli-Erkiner.
Noch ein anderes Ereignis steht nach Ansicht der Fraktion DIE LINKE im Römer für ein massives polizeiliches Fehlverhalten, für das nicht zuletzt Frankfurts Polizeipräsident Thiel die Verantwortung übernehmen müsse: Jochen Habermann (DIE LINKE), Mitglied im Ortsbeirat 3, hielt sich in einem Bereich der Anti-NPD-Demo auf, in dem die Polizei einen Vermummten vermutete. Obwohl er selbst weder vermummt war, noch in sonstiger Weise gegen polizeiliche Auflagen verstieß, wurde Habermann – es handelt sich um einen 70-jährigen Mann – von Polizisten niedergestoßen, getreten und die von ihm mitgeführte Parteifahne zerbrochen.“
