Laut gegen Nazis: „Wer keine Angst vor dem Vierteilen hat, zieht den Kaiser vom Pferd.“

Hier ein Erlebnisbericht von der lautstarken Lautsprecheraktion aus dem Studentenwohnheim Ludwig-Landmann-Straße gegen die NPD-Demonstration vom 20. Oktober:

Der geplante Standort der Moschee grenzt unmittelbar an die Stirnseite des Studentenwohnheims an. Davor – auf der Freifläche des Fischsteinkreisels – wollten die Nazis ihre Zwischenkundgebung machen. Im Flur des 4. Obergeschosses hinter der Balkontür, die sich genau zum Nachbargrundstück der geplanten Moschee öffnet, stand vorinstalliert eine 2000 Watt starke Lautsprecheranlage.

Als sich der Demonstrationszug der Nazis auf der Ludwig-Landmann-Straße vom Katharinenkreisel her näherte, ließ ein Student vom Balkon ein Transparent herab, auf dem „Nazis raus“ stand. Entfernung des Demonstrationszuges vom Fischsteinkreisel zu diesem Zeitpunkt schätzungsweise 200 m. In Erwartung der Nazis wurden die Lautsprecher auf den Balkon gestellt. Anwesend war ein Kamerateam des Hessischen Rundfunks.

Zwei Minuten später drang der zuständige Bereichsleiter der Polizei in Begleitung weiterer Beamter rechtswidrig in das Wohnheim ein und tauchte im Flur des 4. Obergeschosses auf. Was wir hier machten, was wir hier vorhätten. Er mache uns darauf aufmerksam, dass er es nicht dulden könne, wenn Beleidigungen gerufen würden oder zu strafbaren Handlungen aufgerufen würde. Er wisse ja, dass das hier Privatbereich sei und er könne ja nichts verbieten. Wörtlich sagte er: „Ich habe nichts dagegen. Da muss der Herr Wöll eben mit leben, dass jemand anderes auch was sagt.“ Nachdem er sich – wieder ohne eine Rechtsgrundlage anzugeben – noch meine Personalien notiert hatte, verschwand er wieder.

Die Nazidemo war inzwischen neben dem Wohnheim angelangt und stoppte ca 50 m vor dem Fischsteinkreisel. Nach weiteren 5 Minuten begannen sie – in Absprache mit der Einsatzleitung – mit ihrer Zwischenkundgebung auf der Ludwig-Landmann-Straße außerhalb des Beschallungsbereichs der Lautsprecheranlage.

Mehrere Studenten halfen mir in Windeseile, die Anlage von der Stirnseite des Wohnheims in die Küche zu tragen, dort am Fenster zur Zwischenkundgebung die Boxen aufzustellen und ich begann laute Musik zu spielen.

Nach fünf Minuten drang der Bereichsleiter der Polizei, begleitet von zwei Einsatzgruppen in schwerer Kampfausrüstung, wieder in das Wohnheim ein. Aus zwei Richtungen gleichzeitig rannten sie überfallartig durch die Flure und besetzten die Küche. Der vormals verständnisvolle Bereichsleiter zog den Stecker aus der Anlage und drohte mir mit Festnahme und Beschlagnahme der Anlage. Die Kundgebung der Nazis wurde nach vierzig weiteren ungestörten Minuten beendet. Noch vor dem Ende teilte mir der Bereichsleiter mit, dass der Rechtsanwalt von Marcel Wöll wegen der Aktion gegen mich Strafanzeige erstattet hätte.

Im Flur waren inzwischen ca 15 Studenten und der Hausmeister versammelt, die ausnahmslos von der Lautsprecheraktion begeistert waren und verständnislos auf den Polizeieinsatz reagierten. Sie freuen sich schon auf die nächste Aktion gegen Nazis in Frankfurt und sagten der Anti-Nazi-Koordination ihre Unterstützung und Beteiligung zu.

Bleibt festzuhalten: Selbst wenn die anfängliche Duldung der Aktion durch den Bereichsleiter bei seinem ersten Auftritt im Wohnheim ernst gemeint gewesen wäre, die Einsatzleitung der Polizei hatte an diesem Tag in Frankfurt eine eindeutige Zielrichtung. Der Auftritt der NPD wird ermöglicht und die ungestörte Durchführung ihrer Kundgebungen unterstützt. Zu diesem Zweck wird das rechtswidrige Eindringen in Privaträume angeordnet und mit der Demoleitung der Nazis eng zusammengearbeitet, bis hin zur Weitergabe von Personalien sogenannter Störer an die Nazis, damit diese Anzeigen erstatten können.

Die Polizeiführung hat in Frankfurt am 7. Juli und am 20. Oktober eine eindeutige Botschaft ausgesandt: Für das ungestörte Auftreten von Nazis in dieser Stadt tun wir alles. Bürgerproteste dürfen die Verbreitung faschistischen und rassistischen Gedankenguts nicht behindern. Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Organisatoren der Naziaufmärsche wird garantiert.

Zivilcourage ist gefragt. Wer keine Angst vor dem Vierteilen hat, zieht den Kaiser vom Pferd.

Ein Gedanke zu „Laut gegen Nazis: „Wer keine Angst vor dem Vierteilen hat, zieht den Kaiser vom Pferd.““

  1. Nachdem abstellen der Anlage durch die Polizei, waren es trotzdem keine weiteren ungestörten 40 Minuten.
    Denn ich habe zuerst meine sehr laute Tröte ausgepackt und dann meine Boxen auf das Fensterbrett gestellt und „Widderlich“ von BAP, „Leave us alone“ von Gentleman und „Schrei nach Liebe“ von den Ärzten so laut wie es meine Anlage zugelassen hat abgespielt.
    Es muss wohl laut genug gewesen sein, da ein FAZ Journalist ein Titel in seinem Bericht erwähnt hat.
    Trotzdem kann man die Aktivitäten der Polizei überhaupt nicht verstehen, wenn es ein nächstes Mal gibt muss man alles besser, im Wohnheim, organisieren.

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