Der Auftritt einer Gruppe von DemonstrantInnen in Rostock am vergangenen Samstag, die sich Straßenschlachten mit der Polizei lieferten, beherrscht im von den Herrschenden sicherlich gern gesehenen Ausmaß die Diskussion über den G8-Gipfel. Wir gehen illusionslos davon aus, daß diese Frage auch im Vorfeld des 7. Juli noch einmal diskutiert werden wird. Unsere eigene Position zu allen damit im Zusammenhang stehenden Fragen haben wir schon vor einiger Zeit an einem Zitat Konstantin Weckers klar gemacht und fühlen uns bestätigt: Masse ohne Entschlossenheit ist ebenso falsch wie Entschlossenheit ohne Masse.
Zu Diskussion um Rostock im Folgenden zwei lesenwerte Einschätzungen:
ein Interview mit Tim Laumeyer (Interventionistische Linke)
und ein Artikel von Ulla Jelpke (Die Linke) – beide Texte zitiert aus der Tageszeitung „junge Welt“:
„Polizei trägt erhebliche Mitschuld“
Wenn die Staatsmacht provoziert, läßt sich der schwarze Block nicht halten. Ein Gespräch mit Tim Laumeyer (Interventionistische Linke, Sprecher):Die Interventionistische Linke firmiert in der Medienberichterstattung über die von gewalttätigen Ausschreitungen überschattete Anti-G-8-Demonstration am vergangenen Samstag in Rostock als eine Art Generalvertretung des sogenannten schwarzen Blockes. Wie richtig oder falsch ist diese Darstellung?
Es ist richtig, daß wir den linksradikalen Block auf der Demonstration organisiert haben. Der umfaßte mit rund 8000 Personen allerdings eine sehr viel größere Gruppe als diejenige der in Schwarz Gekleideten oder Vermummten. Wir selbst begreifen uns auch nicht als »die Autonomen«. Das gilt insbesondere im Rahmen der Gipfelproteste, bei denen wir uns ausdrücklich als Teil des globalisierungskritischen Bündnisses sehen.
Entzieht es sich also Ihrer Kontrolle, wenn plötzlich Flaschen- und Steinwerfer ihr Unwesen treiben?
Wir haben im Vorfeld klargemacht, was wir politisch wollen, und dazu gehörte es, daß die Demonstration ohne Ausschreitungen ihr Ziel erreicht. An diese Vorgabe haben sich alle Beteiligten über weite Strecken auch gehalten. Kleinere Scharmützel, wie etwa das Abfeuern von Leuchtspurmunition vor dem Hotel, in dem die amerikanische Delegation untergebracht ist, sollte man nicht überbewerten. So etwas geht aus unserer Sicht in Ordnung, solange keine Menschen zu Schaden kommen. Zum Ende der Demo ist die Situation aber in einem Maße eskaliert, wie wir dies nicht wollten und ausdrücklich verurteilen. Aber klar ist auch: Wir können nicht 8000 Linksradikale unter Kontrolle halten, vor allem dann nicht, wenn Gewalt von der Gegenseite provoziert wird.
Ging der plötzliche Gewaltausbruch demnach auf das Konto der Polizei?
Zumindest trägt sie eine erhebliche Mitschuld. Los ging es, als ein Polizeifahrzeug unserem Block sehr nahe kam. Nachdem dieses von Steinen getroffen wurde und es weggefahren war, beruhigte sich die Lage wieder, bis wenige Minuten später eine Berliner Polizeieinheit in die Menge stürmte, um wild und wahllos um sich schlagen. Dabei wurde eine ganze Reihe von Menschen verletzt. Faktisch war dieser Angriff der Auslöser der Eskalation.
Im Internet kursiert ein Video, das eine wie inszeniert wirkende »Prügelei« zwischen einem Vermummten und einem Zivilisten zeigt. Außerdem sollen die »ersten Steinewerfer« am Vorabend mit Polizeieinsatzleitern in einem Lokal gesehen worden sein. Waren in Rostock sogenannte Agents provocateurs im Einsatz?
Ich habe dazu keine Kenntnisse. Ohnehin rate ich bei dieser Thematik zur Vorsicht, solange es keine handfesten Beweise gibt. Denn auf der anderen Seite sollte nicht vergessen werden, daß es in der linksradikalen Szene in der Tat auch Protagonisten gibt, die Straßenschlachten, »Entglasungen« und ähnliches als politische Ausdrucksform für richtig halten.
Für diese war dann also die Attacke der Berliner Einsatzhundertschaft ein willkommener Vorwand, selbst loszuschlagen?
In diesem Falle würde ich eher von Zurückschlagen sprechen. Die Brutalität der Beamten war durch nichts zu rechtfertigen. Gleichwohl existierte auch bei dieser Demo ein Potential an Menschen, denen Bündnisarbeit ab einem gewissen Punkt weniger wichtig ist als die eigenen Ausdrucksformen.
Haben Sie dieses Potential unterschätzt?
Es ist uns offenbar nicht gelungen, unsere Botschaft, daß ein friedlicher Protest die größte Wirkung erzielt, allen Beteiligten zu vermitteln. Deshalb trifft uns auf jeden Fall eine Teilschuld an den Ereignissen und daran, daß die Demonstration medial so verzerrt wiedergegeben wird.
Welche Schlüsse ziehen Sie daraus für die anstehenden Proteste?
Bilder wie die aus Rostock werden sich nicht wiederholen, von gezielter Militanz wollen alle Beteiligten bei den geplanten Massenblockaden Abstand nehmen. Wir können dabei aber nicht für die Gegenseite sprechen. Wir hoffen jedoch, daß die Polizei ihre vielbeschworene Deeskalationsstrategie ernst nehmen wird.
Peter Wahl von ATTAC will die Autonomen nicht mehr als Bündnispartner dulden. Was nun?
Wir sehen diese Äußerung sehr gelassen. Wir haben jedenfalls große Zweifel, daß sich diese Sichtweise durchsetzen wird.
Interview: Ralf Wurzbacher
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Wem nützt es?
Von Ulla Jelpke, Bundestagsabgeordnete der Fraktion Die LinkeWar es die angestaute Wut über die vorangegangenen Razzien und die Polizeischikanen während der Hamburger Demo gegen den EU-Asien-Gipfel am Wochenende zuvor? War es eine Reaktion auf das provokante Auftreten vermummter Polizei-Spezialeinheiten? Wurden die Straßenkämpfe von erlebnisorientierten Autonomen oder Steine schmeißenden Agents Provocateurs ausgelöst? Abschließend wird sich diese Frage nicht klären lassen. Doch wichtig ist nicht, wer den ersten Stein warf. Entscheidend ist, wem die Bilder von einem brennenden Auto, von vermummten Straßenkämpfern und Hunderten Verletzten auf beiden Seiten am Ende nützen.
Den kommerziellen Medien spielten die heißersehnten Bilder von den Straßenschlachten ebenso in die Hände wie den staatlichen Repressionsorganen. Wolfgang Schäuble und die Innenminister der Länder können nun damit rechnen, daß ihre Forderungen nach noch härterem Durchgreifen der Polizei und nach noch mehr Demoverboten auf höhere Akzeptanz stoßen.
Was die vorangegangene Kriminalisierung der G-8-Proteste durch Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt, die Paragraph-129-a-Razzien und die Medienhetze nicht geschafft haben, ist nun eingetreten: Die breite Protestbewegung gegen den G-8-Gipfel wurde an der Militanzfrage gespalten. ATTAC und andere Veranstalter der Großdemonstration haben sich von den Autonomen distanziert und diese für unerwünscht erklärt.
Für die nächsten Tage werden die Gewaltszenen demobilisierend wirken. Viele Protestteilnehmer sind verunsichert. Schon wird diskutiert, ob die geplanten Blockaden und Demonstrationen stattfinden sollen. Während das solidarische Zusammenstehen gegen Polizeiübergriffe auch pazifistisch orientierten Demonstranten einsichtig ist, lassen sich Steinwürfe, Molotowcocktails und brennende Autos nur schwer vermitteln. Vor diesen Bildern gingen zudem die Inhalte des Protestes unter – egal ob reformistisch oder revolutionär. Die meisten Medien konzentrierten sich auf die Zusammenstöße zwischen der Polizei und einer Minderheit der Demonstranten.
Diejenigen, die mit militanten Aktionen gegen den Sperrzaun anrennen wollten, haben nun ihr Pulver schon verschossen. Daß sich die Gewalt des »schwarzen Blocks« bereits Tage vor Beginn des G-8-Gipfels fernab von Heiligendamm entlud, lag allein im Interesse der Polizei. Die Autonomen müssen sich fragen lassen, wie weit sie einer gezielten Provokationsstrategie auf den Leim gingen.
Wir sollten aus den Vorfällen lernen, das Potential zivilen Ungehorsams richtig einzusetzen und sinnlose Gewaltausbrüche zu unterbinden. Pazifistisch orientierte Gruppierungen dürfen anderen Strömungen der Linken ihre Taktik nicht aufzwingen – ebensowenig aber sollte eine Minderheit selbsternannter Straßenkämpfer eine Großdemonstration von 80000 Menschen in Geiselhaft für ihre Aktionen nehmen. Die Autonomen sind aufgefordert, sich der Kritik und Debatte innerhalb der Linken zu stellen.
Festgestellt werden muß aber auch: Die größte Gewalt geht von Regierungen jener Staaten aus, die sich in Heiligendamm versammeln. Im Irak, in Afghanistan und vielen anderen Orten fallen der imperialistischen Kriegspolitik Tausende zum Opfer – mit deutscher Beteiligung oder Unterstützung.
Gegen diese globale Gewaltmaschine müssen die Proteste weitergeführt werden – in Rostock-Laage und Heiligendamm, aber auch weltweit durch den Aufbau der Antikriegsbewegung und den Kampf für eine antikapitalistische Alternative.

Nachfolgende Antwort von Tim Laumeyer in einem Interview am 5.06.
(http://gipfelsoli.org/Presse/J2_Rostock/2648.htmlInterview)sollte ergänzt werden:
„Die IL ist auch Teil der Kampagne Block G8, die an diesem Mittwoch eine Massenblockade rund um Heiligendamm plant. Für diese Aktion wollen wir nur zivilen Ungehorsam, keinen Krawall. Wir haben deutlich gesagt, dass die Autonomen dort nicht willkommen sind.“
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Gewalt ist ein gesellschaftliches Verhältnis und kein Wert oder Begriff an sich. Die G8 sind in dem Sinne gewalttätig, dass sie ein gesellschaftliches Verhältnis aufrechterhalten, dass Menschen ausbeutet, enteignet, erniedrigt und verhungern lässt. In dem sie sich einer wirksamen Klimapolitik und einer nachhaltigen Entwicklungspolitik verweigern, verurteilen sie Millionen zum Hungertod oder überlassen sie unvorstellbaren Katastrophen. Dass diese Verhältnisse zu immer neuen Kriegen führen, wissen wir bereits.
Die von den G8 verursachten oder auch nur geduldeten Verhältnisse münden in Überlebenskämpfen, die nicht gewaltlos sein werden. Die Verhungernden und Verdurstenden werden nicht über die Alternative zwischen Gewalt gegen Sachen oder Menschen diskutieren. Sie werden den Artikel 13 des
Weltsozialforums, in dem der gewaltfreie Widerstand proklamiert wird, nicht beherzigen – ja sie werden ihn nicht einmal lesen können. Insofern ist das allgemeine Bekenntnis zur Gewaltfreiheit eine überirdische
Abstraktion.
Wenn aber Gewalt ein gesellschaftliches Verhältnis ist, das zur individuellen Gewaltanwendung durch die Betroffenen führen kann, dann heißt dies noch lange nicht, Gewalt als politisches Mittel zu legitimieren. Das Recht auf Notwehr ist keine Legitimation des Faustrechts. Dass der Zweck die Mittel heiligt, ist ein Leitspruch der Jesuiten, von dem Marx sagte, dass ein Zweck, der zu seiner Durchsetzung unheiliger Mittel bedarf, auch kein heiliger Zweck ist. Und gesellschaftliche Veränderungen, die ihren Zweck nur durch individuellen Terror erreichen können, haben noch nie zu gesellschaftlichem Fortschritt, sondern am Ende zur Barbarei geführt.
Abstrakte Bekenntnisse zur Gewaltfreiheit werden immer wieder zu eben so abstrakten Rechtfertigungen der Gewalt führen, wenn nicht über konkrete Bedingungen geredet wird. Die Gewalt lässt sich nicht aus der Geschichte herausdiskutieren oder per Definition verbannen, sie muss rational überwunden werden.
Wer in einer friedlichen deutschen Stadt Gehwegplatten auf Polizisten schleudert, hat kein gestörtes Verhältnis zum Gebot der Gewaltfreiheit, sondern zur Vernunft. Was der Linken anlässlich solcher Eskalationen auf die Füße fällt, ist die Dominanz der Symbolpolitik über das strategische Denken und das gefühlselige Wort vom sich einmischen, das völlig offen lässt, wie und womit man sich einmischt. Ja, um das am Ende zu sagen, ich bin für einen gewaltfreien gesellschaftlichen Wandel, aber ich bin es nicht aus einem abstrakten Prinzip heraus, sondern weil ich weiß, dass es nicht nur humanere, sondern auch erfolgreichere Mittel gibt.
/Harald Werner 6. Juni 07/
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Hallo,
NEIN, ich war nicht in Rostock und kann nicht live „berichten“, doch ich möchte darauf aufmerksam machen, daß die Randale so plötzlich und gut ins Konzept paßte, um alle Polizeistrategien im Umfeld von G8 zu „rechtfertigen“.
Ist das nicht auffällig?
Mittlerweile wird sogar von der Polizei zugegeben, daß V-Leute im Einsatz waren, die offenbar an der inszenierten „Randale“ beteiligt waren. Was der Verfassungsschutz gemacht hat, das werden vielleicht unsere Enkel erfahren! Macht das nicht stutzig?
Eine Diskussion der Gewaltfrage, ohne die Ebene staatlich inszenierter Gewalt um staatliche Repression zu „legitimieren“, kann nicht geführt werden.
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Das sehe ich genauso. Es häufen sich Meldungen aus dem Bereich von DemonstrantInnen, MedienvertreterInnen, kritischen RechtsanwältInnen, die von unglaublichen Vorgängen berichten: Polizeiagenten die „Autonome“ spielen sollten, Behinderung von ReporterInnen, zu Atemnot führende folterähnliche Fesselung mindestens eines Gefangenen, Bedrohung von ÄrztInnen im Einsatz, und vor allem: der Einsatz von Käfigen zur Dauerlagerung von Häftlingen im „Unterbindungsgewahrsam“, in denen Linke mit Nazis zusammengesperrt, ständig gefilmt wurde, die Gefangenen auf dem Boden zu kampieren hatten, wenig zu essen bekamen, nicht informiert wurden, keinen Zugang zu Rechtsanwälten hatten. Wer, wie es aus Attac-Kreisen zu erleben ist, im verbalen Schnellschuß in einem solchen Kontext Autonome mit Nazis gleichsetzt und zugleich hierzu schweigt, verabschiedet sich aus jedem denkbaren linken Konsens.
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wir sollten uns nichts vormachen: es gibt beide positionen und beide positionen werden am 7.7. auf der straße sein und mit den ihnen zur verfügung stehenden mitteln versuchen, den naziaufmarsch zu verhindern. und das ist gut so! es sollte also weniger um distanzierung und durchsetzung der eigenen position gehen, als darum, zu versuchen, die unterschiedlichen vorstellungen von widerstand gegen die nazis so unter einen hut bekommen kann, dass sie sich nicht gegenseitig behindern, sondern im idealfall sogar unterstützen.
das heißt vor allem, zu akzeptieren, dass es unterschiedliche vorstellungen von aktionen gegen die nazis gibt, die beide ihre berechtigung und auch für sich begründete inhaltliche legitimation haben.
so sollten die militanten sich nicht von friedlichen distanzieren und ihre aktionsform für die einzig richtig antifaschistische halten, sondern sehr genau gucken, wie sie ihre aktionsform verantwortungsvoll gegenüber anderen gegendemo-teilnehmerInnen und erfolgreich gegen die nazis einsetzen können. auf der anderen seite sollten, die, die mit friedlichen mitteln gegen nazis demonstrieren sich davor hüten, falsche schlüsse aus den aktionsformen zu ziehen, wie es attac nach rostock getan hat. und auch sie sollten anerkennen, dass es unterschiedliche, legitime vorstellungen von aktionen und widerstand gegen nazis gibt.
für eine solidarische und vor allem sachliche diskussion über den sinn oder unsinn von aktionsformen in bestimmten situationen!
für eine antifaschistische no go-area in frankfurt! friedlich und militant!
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Dem ist wirklich nichts hinzuzufügen!
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