Masse und Entschiedenheit: Erste Auswertung zur Nazi-Demonstration am 7. Juli in Frankfurt / Einladung zur Pressekonferenz

Eine erste kurze Bilanz der heutigen Ereignisse rund um die Nazi-Demonstration in Frankfurt ergibt:

  • es gelang Dank des tatkräftigen Schutzes von 8000 PolizeibeamtInnen aus der ganzen Republik, für die NPD und ihren Anhang deren Demonstration „Volksgemeinschaft statt Globalisierung“ gegen den Widerstand von mehreren Tausend GegendemonstrantInnen durchzusetzen.
  • Damit ist zunächst das politische Konzept des hessischen Innenministers Volker Bouffier und des schwarz-grünen Magistrats der Stadt aufgegangen, sich das Heft des Handelns in der Frage, ob eine Nazi-Demonstration in Frankfurt stattfinden kann oder nicht, jedenfalls nicht ganz aus der Hand nehmen zu lassen. Die Exekutive hat ein weiteres Mal bewiesen, daß ihr wirksamer gesellschaftlich organisierter und nicht bloß symbolischer Antifaschismus ein Dorn im Auge ist. Das ist Demokratie à la Hessen und Frankfurt 2007. Die materiellen und vor allem die politischen Kosten dieser Politik sind hoch bzw. noch nicht einzuschätzen.

  • Die Anti-Nazi-Kräfte waren präsent, aktiv, einfallsreich und beweglich. Für eine wirklich erfolgreiche Verhinderung der Nazidemonstration waren wir trotz beispiellos breiter gesellschaftlicher Unterstützung zu wenige auf der Straße.
  • Die Nazis erreichten mit ihrer Teilnahme nur etwa die Hälfte der von ihnen selbst erwarteten Beteiligung. Die zum Teil weitgereisten Kader mußten stundelange Verzögerungen ihrer Anreisen in Bussen und Bahnen hinnehmen, bevor sie unter dem Schutz von durchschnittlich 16 PolizistInnen pro Demonstrant durch weitgehend menschenleere Gefilde der Stadt, ein samstäglich-ödes Industrieviertel mit wegen Wochenendes stillgelegter Börse umrunden konnten, entlang der Niddawiese, die eigens zu ihrem Schutz mit NATO-Draht ausstaffiert war. Zudem wurde die Route auch noch während der Demonstration von der Polizei verkürzt. Spaß kann das den Nazis nicht gemacht haben. Wir vermuten, daß Kamerad Wöll sich wegen dieses erheblichen Fehlschlages einiges anzuhören haben wird, bevor er dann in einem Monat wegen Volksverhetzung vor Gericht steht.
  • Die Polizei nahm etwa 200 GegendemonstrantInnen kurzfristig fest. Der Ermittlungsausschuß arbeitet die Fälle ab.
  • Zu schwerwiegenden Verletzungen scheint es nach unserem derzeitigen Kenntnisstand und ersten Medienberichten glücklicherweise nicht gekommen zu sein.
  • GegendemonstrantInnen gelang es erfolgreich, den Anreiseweg der Nazis wieder und wieder zu unterbrechen und somit eine von den Medien im Wesentlichen korrekt berichtete stundenlange Verzögerung des Demonstrationsbeginns zu erreichen. Der Bahnhof Rödelheim war längere Zeit besetzt, die Gleise vollständig blockiert. Etwa zeitgleich mit dem Antransport von weiteren Polizeieinheiten mit Hubschraubern gelang es Polizei und Bundespolizei, die antifaschistische Blockade gewaltsam zu beenden. Ebenfalls über längere Zeit hielten AntifaschistInnen die S-Bahn-Gleise im Bereich Emser Brücke besetzt. Dies führte rund um den Frankfurter Hauptbahnhof zeitweise zu Verzögerungen im Reiseverkehr.
  • Rund um die Demonstrationsroute der Nazis im Frankfurter Stadtteil Hausen – Industriehof kam es an den Stellen Ludwig-Landmann-Straße / Ecke Rödelheimer Straße, Fischstein, Industriehof, Rödelheimer Landstraße / S-Bahn-Linie, Westbahnhof und Breitenbachbrücke zu Blockadeversuchen und Auseinandersetzungen mit der Polizei, der es jedoch ihrerseits mit wenigen Ausnahmen aufgrund ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit gelang, die Route der Faschisten zu schützen.
  • Nach Medienberichten und unserem derzeitigen Kenntnisstand kam es nicht zu den von manchen klammheimlich oder auch offen geradezu herbeigesehnten gewaltsamen Ausschreitungen von Antifa-Gruppen. Alle diesbezüglichen Vorhersagen von sehr unterschiedlicher Seite erwiesen sich erwartungsgemäß als interessegeleitete Hysterie und Panikmache.
  • Das Verhalten der Polizei den Nazis gegenüber ist ein Skandal, der noch zu besprechen sein wird. Angekündigt hatte Polizeipräsident Dr. Achim Thiel, die Polizei werde „Regelverstöße jeder Art“ nicht dulden. Aus vielen Erfahrungen hatten wir ihm das nie abgenommen. Zu Recht. Denn:
  • Geduldet wurde die Tatsache, daß von den 500 mühsam angereisten Faschisten etwa 100 vermummt waren – jede linke Demonstration dieser Art hätte kurz vor der Auflösung gestanden.
  • Geduldet wurde der Nazi-Sprechchor: „BRD, Judenstaat, wir haben Dich zum Kotzen satt!“, ohne daß die Polizei eingriff.
  • Geduldet wurde das Singen faschistischer Lieder, die von der Polizei intern selbst als verboten eingestuft wurden – kein Auflösungsgrund.
  • Geduldet wurde das Zeigen einer geringfügig veränderten Reichskriegsflagge.
  • Zwei „Kameraden“ wurden wegen Steinwürfen festgenommen und dann wieder freigelassen, nachdem ihre Mitdemonstranten sich weigerten, andernfalls ihren Weg nicht fortzusetzen. Polizeilicher Kuschelkurs für Nazis. Alle diese Informationen beruhen auf glaubwürdigen Augenzeugenberichten.

Der schwarz-grüne Magistrat Frankfurts, der Innenminister des Landes Hessen und die von ihm politisch angeleiteten Polizeiführungen in Hessen und Frankfurt haben mit der heutigen polizeilichen Materialschlacht gegen uns AntifaschistInnen deutlich gezeigt, daß sie jede gesellschaftlichen Eigeninitiative gegen Faschismus nur in dem von ihnen selbst gezogenen engen Rahmen dulden wollen. Für sie ist das eine offensichtlich wichtige gesellschaftliche Machtfrage. Allen liberalen Bekundungen zum Trotz haben sie politisch eine Situation zu verantworten, in der die Nazis über Monate folgenlos mit Gewaltdrohungen, rassistischer Hetze und offenem Nazivokabular bis hin zur unverhüllten Selbstbezeichnung als „Nazi“ werben konnten. Man mußte sich schon Augen und Ohren gleichzeitig zuhalten um dies zu ignorieren. Oder man hätte wirksam und konsequent einschreiten, das heißt: die Demonstration verbieten und damit die politische Mitverantwortung für sie ablehnen müssen. Es ist paradox, daß dieselben, die ein Demonstrationsverbot für „symbolische Politik“ halten (Boris Rhein) in ihrem sonstigen Antifaschismus konsequent rein symbolisch agieren.

Die Anti-Nazi-Koordination hat aufgrund ihres Aufrufs, in dem seit März 2007 offen zu einer Blockade der Nazidemonstration auch außerhalb des Rahmens der Legalität aufgerufen worden war, eine vorher nicht erwartete gesellschaftliche Breite des Widerstands gegen Nazifaschismus organisieren könne. Bei aller Unterschiedlichkeit der Kräfte dieses Bündnis liegt hier ein möglicher Kern für eine antifaschistische zukünftige Massenbewegung in Frankfurt, die sich auch unter Druck nicht spalten läßt, und in ihren Aktionen Masse und Entschiedenheit künftig noch erfolgreicher miteinander verbindet.

Eine detailliertere Auswertung wird folgen.

Wir laden, wie seit längerem angekündigt, zu einer
Pressekonferenz am Sonntag, 8. Juli, 13 Uhr
im Türkischen Volkshaus, Werrastraße 25 (Nähe Westbahnhof)

9 Kommentare zu „Masse und Entschiedenheit: Erste Auswertung zur Nazi-Demonstration am 7. Juli in Frankfurt / Einladung zur Pressekonferenz“

  1. Liebes Team der Anti-Nazi-Koordination,

    ich bedanke mich – vermutlich im Namen aller Demonstranten, die versuchten den Naziaufmarsch zu verhindern – für die gute Planung, Durchführung und den Versuch mit der Polizei zu verhandeln.

    Den 70 km langen Anreiseweg nehme ich gerne erneut in Kauf!

    Freundliche Grüße
    Torbz

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  2. also auch von danke für die viele vorbereitung auch wenn dann hinterher bei der demo meiner meinung nach vieles nicht geklappt hat was aber auch defenitiv an den zu wenigen leuten lag die da waren und natürlich war es auch wieder wie immer das die kleingruppen zu wenig infos hatten und auch die vielen leute mit fahrrad da waren nicht wirklich gut informiert.sms-verteiler bei mir klappte irgendwie nicht nachrichten kamen stunde später oder so an.aber das liegt ja nicht an euch. also super wetter teilweise gute stimmung vorallem bei der blockade an der messe da waren ja sogar juso auf den gleisen ich glaub es nicht wenn das der schilly wüßte:-).aber im prinzip betrachte ich aus meiner sicht den tag als niederlage.die faschos konnten, wenn auch mit verspätung, ihre ganze route laufen und erfolgreiche angriffe auf sie gab es auch nicht wirklich im großen rahmen.
    naja war trozdem ganz ok.
    antifaschistische grüße aus nrw

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  3. mir persönlich ist es am samstag schwer gefallen den überblick zu behalten, was aber vermutlich daran liegt dass die gruppen und aktionen weit gestreut agieren mussten. die 200-250 leute mit denen ich um 10.20 von der bockenheimer warte aus startete hat gut gearbeitet und funktioniert. gegen mittag allerdings war die ein oder andere verwirrungsaktion jedoch ziemlich sinnlos; mittelgroße gruppen sollten sich durch strategisch sinnlose rennerei nicht aufspalten lassen, wie es am ende zwischen mainzer landstr. und messe passiert ist (folge: kurzzeitige einkesselung und nerviger zeitverlust).

    meine ‚objektives‘ fazit ist ambivalent:
    edie weitgestreuten aktionen haben ihre wirksamkeit gezeigt. in antwort auf gnarf:
    sicherlich hat die npd erfolg gehabt, sie konnte ja ihren marsch durchziehen was zu verhindern ja (unabhängig von gewählten mitteln) unser aller ziel ist. dennoch war die blockade der anreisewege die einzig richtige ansatz und auch begrenzt erfolgreich. die strategische lage der route und der übertriebene staatliche aufwand zu ihrer sicherung ist selbst für den hoffnungsvollsten optimisten grund zu einsicht dass eine verhinderung aussichtslos war. ich wohne genau in dem quadranten der den faschos abgesteckt wurde (rödelheimer teil) und es ist ein verdammt verwinkelte ecke: wenig große strassen und die wurden den nazis zugeteilt; viele schlupflöcher im industriegebiet zwischen westbhf. und neue börse, die hat die polizei schon in der nacht bis 03.00 dicht gemacht. insofern ist das dezentrale blockieren gut verlaufen, wir haben alles mächtig verzögert.
    was micht enttäuscht und wo ich dir vollkommen zu stimme: wir waren viel zu wenige. im vergleich zum 1. Mai 2001 am weißen stein in ffm
    eschersheim war das viel zu wenig. aber wer kann’s dem familienvater übelnehmen dass er seiner courage schranken erteilt, wenn der staat ffm west mit seinem apparat zum kriegsgebiet macht. da kann man sehn was eine wehrhafte demokratie die auf dem rechten auge blind für das zivilgesellschaftlichen engagement bedeutet…

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  4. ich hatte den eindruck, dass die info-struktur von anti-nazi und antifa-koordination zusammengebrochen ist. die wap-seite (mobil.antifa-frankfurt.com) war nicht abrufbar/nicht aktualisiert. über den sms-verteiler ging nur wenig brauchbares. das info-telefon war total überlastet und die leute an den blockadepunkten nicht besser informiert als der sms-verteiler, und reagierten verspätet (30 min nachdem die sms eintraf).

    ein zentraler treffpunkt wäre gut gewesen. alles war viel zu sehr über die stadt verteilt. überall liefen die leute völlig planlos rum. der sinn, in die innenstadt zu gehen, wurde nicht gut genug vermittelt.

    für die idee sms-verteiler, wap-seiten und infotelefon zu benutzen, gibts von mir eine 1 – für die umsetzung eine 5. aber vielleicht lags
    auch an der polizei…

    solidarische grüße!

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  5. an dieser stelle mal ein riesenlob an alle, die für die infrastruktur gearbeitet haben!!! das infotelefon war an solch einem tag natürlich immer mal wieder besetzt (neben tausenden interessierter antifaschistInnen versuchten daneben nazi-trolle erfolglos die leitung duch anrufe zu blockieren, wozu sie vorher aufgerufen hatten), mensch kam aber auch durch und bekam hilfreiche infos.
    es gab übrigens nicht nur die eine internetseite für handys, es gab drei ingesamt, wovon ich die der anti-nazi-koordination genutzt habe, die zwar nicht minütlich aktualisiert waren, doch wenigstens ab und zu einen kurzen lagebericht boten, vor allem, daß die nazis so lange warten mußten, bis zu ihrem abmarsch. wie und welche technischen störungen interessierte kreise eingesetzt haben, weiß ich nicht, kann aber gut sein…
    und es gab noch das radio x mit guten infos!
    es gab sicher orte, an denen die leute nicht so gut informiert waren, doch ich war auf dem kurfürstenplatz/bockenheim, die leute mit dem lautsprecherwagen dort waren immer bestens informiert und haben uns auch durch durchsagen bestens informiert. das problem war in meinen augen die ungeduld vieler, die anfangs einfach nicht mal für 15 minuten an einer stelle warten konnten und dann von sich aus irgendwie loszogen, ohne plan und ziel. leute, einfach geduld zeigen und den am lauti vor ort vertrauen, die wissen schon, was abgehet. bestes beispiel waren eine gruppe auswärtiger punks, die -als es vom kurfürstenplatz aus losging – mit einer spontan angemeldeten und genehmigten demo- rumnölten, das sei aber die falsche richtung und hinterher festestellen mußten, daß es ganau die richtige richtung war…!

    am anfang hätte mensch aber regelmäßig durch durchsagen die leute zum warten am kurfürtsenplatz und zur geduld aufrufen sollen, denn es kamen kleingruppen, die zogen dann aber oft nach 10, 15 minuten wartens ab, weil sie nicht abseits warten wollten und ihnen der sinn des (vergeleichweise kurzen) wartens nicht klar war

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  6. @wahnsinn deutschland: wäre schön gewesen, wenn es nur die gewesen wären … – aber stimmt, die waren es auch. Oder auch Polizeisprecher Linker, der ohne Grund behauptet hat, dass ein Molotowcocktail-Video der NPD sicherlich eine „Antifa-Fake“ sei, was sofort allenthalben nachgebetet wurde usw.usf. Die Sache mit dem Molotow-Video ist übrigens inzwischen geklärt. Es ist ein nazi-Video. Schau mal den entsprechenden Blog an …

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